E.-J. Steffani
Einer der berührendsten Eindrücke unseres Besuches im Ahrtal war ein Foto, das eine von der Flut betroffene Frau an Gerhard Keim, einen Lionsfreund aus Kempten, geschickt hatte. Gerhard Keim, seines Zeichens Architekt, hatte die Idee, den Menschen, die in der Flutnacht buchstäblich alles verloren hatten, wenigstens zu Bildern zu verhelfen, damit in die tristen von der Verwüstung gezeichneten Räume wieder etwas wie Wohnlichkeit einziehen kann. Er sammelte viele Gemälde und brachte sie nach Ahrweiler. In der alten Synagoge wurden sie ausgestellt, und jedes Flutopfer konnte sich zwei davon mitnehmen. Es flossen viele Tränen, berichtete er. Und die Bilder waren schnell an die Menschen verteilt, denen damit eine Freude gemacht werden sollte.
Das große Problem momentan ist, dass viele Menschen den Mut verlieren. Die Suizidrate steigt. Offiziell wird zwar verlautbart, dass sie nicht höher sei als vor der Flut, aber wir haben von drei konkreten Fällen gehört in den Gesprächen, die wir geführt haben. Und den öffentlichen Verlautbarungen glauben immer weniger Menschen.
Am 14. Juli 2021 war die Flutkatastrophe, die kaum jemand für möglich gehalten hatte. Allein in der Nacht der Katastrophe verloren 134 Menschen ihr Leben, unter unvorstellbar dramatischen Umständen. Von ungefähr 4.200 Häusern an der Ahr sind seitdem 467 zerstört und 727 beschädigt. Brücken sind zerstört, teilweise wie Papier zerknüllt. Das Wasser stieg an der Engstelle der Ahr bei Mayschoß bis in den zweiten Stock eines Gebäudes, das nach der Flut vielen Helfern als Unterkunft diente und mit Graffiti bemalt ein
Denkmal ist für das unvorstellbare, was hier passiert ist. Unvorstellbar ist auch die große Hilfsbereitschaft, die die Menschen hier erfahren haben. „Alle 11 Minuten verliebt sich ein Helfer ins Ahrtal“, steht darauf und „Thank u Jesus“ und es sind Bilder darauf gemalt von der Hubschrauberrettung aus diesem Gebäude. Wie bei manch anderem Gebäude ist nun hier die Standsicherheit nicht mehr gewährleistet und es muss wahrscheinlich jetzt, im Herbst 2022, abgerissen werden.
Wir werden von Frank Schönherr und Gerd Treffer vom ABC, dem Ahrweiler Fußballclub, begleitet. Mit ihnen haben wir Kontakt, seit wir im Frühjahr dieses Jahres zwei ihrer Jugendmannschaften zu uns geholt haben, damit die Jugendlichen etwas anderes zu sehen bekommen als Zerstörung und Flutfolgen. Gerd Treffer ist Soldat und war auch in Afghanistan im Einsatz gewesen. „So viel Staub wie hier nach der Flut habe ich nirgendwo gesehen“, sagt er. Und er erzählt von dem Moment, als er das Grab seines Vaters suchte, der Friedhof war total zerstört, von den dreizehn Leichensäcken, die in seiner Garage, die trocken geblieben war, zwei Tage lang lagen und von seinem Sohn, der diese durch die enge Tür mit nach draußen bringen musste und seitdem psychische Probleme hat. Er erzählt von den Schwierigkeiten, den Spielbetrieb aufrecht zu halten, wenn man kein einziges Fußballfeld mehr hat und einen die Bürokratie zur Weißglut treibt. „Wir haben gelernt, wie man Kindern Fußballspielen beibringt, aber nicht, wie man mit psychischen Problemen umgeht.“, sagt er. Da steht ein Vierzehnjähriger vor ihm und sagt, fast beiläufig: „Ich habe gedacht, wir sterben alle.“
Menschen, die in der Flutnacht nicht wussten, wo ihre Angehörigen sind und ob sie noch leben, haben massive psychische Probleme und Hilfe gibt es da zu wenig. Ahrweiler ist eine Stadt fast ohne Erdgeschosse. Noch immer sind diese oftmals nicht nutzbar und man erkennt, wer gut versichert war und wer nicht. Manch einer baut sein Haus, das schon im Krieg zerstört worden war, noch einmal auf. Im Januar 1945 war Ahrweiler bombardiert worden. Nun war es die Flut, die viele von vorne anfangen lässt.
Gerd Treffer zeigt uns auch die Nepomukbrücke in Rech, die für viele Menschen identitätsstiftend war. Sie ist im Wappen des Ortes abgebildet. Nun soll sie abgerissen werden, weil sie mit ihren im Fluss stehenden Pfeilern nicht flutsicher ist. Rein technisch gesehen die richtige Entscheidung, aber es geht wieder ein Stück Vertrautes verloren. „Wenn ich jetzt durch das Ahrtal fahre, erkenne ich meine Heimat nicht mehr wieder.“
Die Brücken waren in der Flutnacht ein großes Problem, weil sich hier alles das, was die Ahr mitgerissen hatte, verfangen hat und somit das Wasser immer mehr aufgestaut hat. Gerd Treffer weiß das und ist hin und her gerissen, wenn es um die Nepomukbrücke geht.
Aber er erzählt auch von dem wunderschönen Ahrtal, vom Rotweinwanderweg und zeigt uns auch das. Eigentlich ist die ganze Gegend schön und von der Sonne verwöhnt. Die Menschen lieben das Leben und wissen auch, wie man es genießt.
Am Sonntag sitzen viele bei herrlichem Herbstwetter in den Cafés, die geöffnet haben, und freuen sich an der Sonne und dem, was schon wieder in Ordnung gebracht worden ist. Und das ist erstaunlich viel. In Eigeninitiative ist wohl das meiste entstanden und mit der Hilfe von Helfern und Spendern wie den Lions. Herr und Frau Langen vom Lionsclub Ahrweiler begleiten uns durch die Stadt und erzählen von dem Unfassbaren der Flutnacht aber auch von Hilfe, Aufbruch und von Menschen, die einfach weiter ihren Dienst tun, obwohl sie sich ihr Rentnerdasein ganz anders vorgestellt hatten. Wir erzählen von unseren Plänen, den Kontakt nach Ahrweiler aufrecht zu erhalten und auch im nächsten Jahr eine Veranstaltung mit dem Fußballclub zu machen, wieder bei uns in Ilmenau. Es soll ein Sponsorenlauf werden, um Geld für die so wichtige Jugendarbeit des Clubs zu sammeln und dazu beizutragen, dass das Ahrtal nicht in Vergessenheit gerät. Alle, die davon hören, sind begeistert. Und so fahren wir mit vielen Bildern und Erlebnissen im Kopf zurück und mit dem Wissen, dass das Leben im Ahrtal weiter geht und sich der Lebensmut doch durchsetzt. Und dass wir unseren Beitrag dazu leisten können.